Bolivien: Von der trockenen Hochebene des Altiplanos mit seinen rostroten Lagunen und lachsfarbenen Flamingos ins grün-bunte Tiefland des Amazonas-Tieflandes. Ein buntes Land der Gegensätze, der Armut und des Naturreichtums. Los geht’s mit staubigen Stiefeln für drei Tage auf den alten Inka-Pfaden des Choro-Treks.
August 2012 – Während das Wetter in Deutschland noch einmal die Bühne für einen heißen Spätsommer bereitet, sitze ich in meinem Studentenzimmer zwischen Schlafsack und Kochgeschirr, Kleidung, Kamera, Kartenspiel, Ausweisen und allerlei Kleinkram auf dem Fußboden und versuche Habseligkeiten für die nächsten acht Wochen in meinen 65l-Rucksack zu stopfen. Bolivien, du buntes und doch wirtschaftlich so armes Land sollst nun mein nächstes Reiseziel werden, das ich mit 20 weiteren Studierenden der Geographie in einer Exkursion ansteuere. Wir werden im Hochgebirge frieren und in der tropischen Tiefebene des Amazonas-Beckens schwitzen, Kulturelles besichtigen, Gletscher suchen und mehrtägige Trekking-Touren absolvieren. Ratlos bastele ich mir einen Allrounder-Rucksackinhalt, der mich irgendwie auf jede denkbare Situation vorbereitet, Leitungswasser trinkbar macht, Blessuren versorgt und Raum lässt für Mitbringsel und Nahrungsmittel. Und dann sitze ich im Flugzeug und steuere 18h diesem unbekannten Land entgegen, dessen Sprache ich nicht spreche und über das ich doch noch so wenig weiß.
Bolivien: Die bunten Kleider der Bolivia
Unsere Reise beginnt in den staubigen Straßen der Stadt Santa Cruz, führt uns durch die weiße Stadt Sucre, hinauf nach Potosí mit seinen Silberminen auf 4000 m ü NN, in denen wir die Armut und Not der Menschen hautnah erfahren. Wir durchstreifen das Altiplano, verlieren uns in den Lagunen und endlosen weißen Weiten des größten Salzsees der Erde, beobachten Flamingos in der roten Morgensonne, die hinter den Vulkanketten hervor blinzelt und pusten in der Nacht dem Dach unseres 1000-Sterne Hotels weiße Atemwölkchen entgegen während sich dünner Reif auf unseren Schlafsäcken bildet. Und dann sind wir endlich angekommen in La Paz, Stadt und Startpunkt unserer 3-tägigen Tour, die uns auf dem Choro-Trek von den Anden über den Bergregenwald ins tropische Tiefland führen wird. Auf 4866m ü NN treffen wir in einer Mondlandschaft aus Fels und Geröll auf unsere Reisebegleiter, einen Bolivianer mit seinen zwei Töchtern und einer Gruppe Mulis, die sich für die nächsten Tage unseres Gepäcks annehmen werden. Ein bisschen schäme ich mich und hätte mein Päckchen, wie so viele Male zuvor, lieber selber getragen. Noch ist es kalt und wir schichten Wollpullover und Regenjacken über unsere frierenden Körper bevor wir ins neblig-karge Tal Richtung Chairo absteigen. Die Welt um uns ist grau und gelblich-braun, ein paar Schafe blöken an den Hängen und kauen faseriges Gras während wir uns auf schmalen Pfaden durch ein Netz aus wässrigen Rinnsalen abwärts bewegen. Wir folgen einem alten Inkapfad , dessen große in den Boden eingelassene Steine dem Reisenden Halt geben sollen, während der Regen den glitschigen Boden durchweicht. An einer kleinen Behausung machen wir Rast und bekommen das, was schon seit drei Wochen täglich auf unserem Speiseplan steht: Pollo con arroz – Reis mit Huhn und Spiegelei, danach eine Banane. Ich schlürfe meinen Coca-Tee gegen die Höhenkrankheit und betrachte die dunkelgrünen Blätter, die sich am Boden meines Bechers sammeln, während sich eine Freundin neben mir mit blassem Gesicht den Bauch hält. Fast jeder von uns ist im Laufe der Reise mindestens einmal in den Genuss einer ausgereiften Magen-Darm-Verstimmung durch verdorbenes Trinkwasser oder Lebensmittel gekommen und weiß, wie sie sich fühlt. Wir ziehen weiter und fast unmerklich verändert sich die Landschaft um uns herum, lässt Hänge ergrünen und erblühen unter dem feinen Regenschleier, der uns umhüllt, lässt die Bäche anschwellen und mit ihnen die Geräuschkulisse aus Insekten, Wind und Wasser. Vögel gibt es hier oben im Bergregenwald merkwürdigerweise kaum, dafür haushohe Baumfarne und Bromelien, die unseren Weg säumen. Am Abend erreichen wir unser Camp und genießen eine heiße Suppe am wärmenden Lagerfeuer während unsere Schuhe dampfend am heißen Stein trocknen. In der Nacht ziehen die Mulis schnaubend und stampfend um unsere Zelte und stärken sich für den weiteren Weg.
Bolivien: Der Dschungel schläft nie
Der zweite Tag unserer Tour ist mit Abstand der Schweißtreibendste und lässt uns die Hänge des Bergregenwaldes mit seinen Tälern und Kämmen vermessen, hinauf und hinab, immer dem Inkapfad folgend und dankbar unsere Vierbeiner tätschelnd, die uns so vieles erleichtern. Mir rinnt der Schweiß, färbt mein T-Shirt dunkel und durchweicht die Träger meines Rucksacks während ich mich stundenlang rutschige steile Böschungen zwischen Adlerfarn und Hängebrücken hinauf kämpfe. Der Preis ist eines der malerischsten Fleckchen Erde, auf dem ich mein Zelt je aufschlagen durfte. Wir campen am Weg, eine Lichtung am Hang inmitten des lauten, zirpenden und nun auch piependen Bergregenwaldes und ich stehe andächtig mit meiner Zahnbürste unter einem träge schaukelnden Palmenblatt in der Abendluft. Vor uns erstreckt sich ein weites Tal in der Dämmerung, in dem sich die feuchte Luft dampfend sammelt, die Sonne ein roter Ball hinter der Hügelkette. Am dritten Tag verlassen wir den humiden Teil unseres Trails und treten ein in die staubige, hartlaubige Welt des Trockenwaldes, die uns nach 41,2 km bis zu unserem Ziel in Chairo auf etwas unter 1000 m ü NN begleiten wird. Schwarze Taranteln kreuzen vor uns den Weg und ich kann mir nicht vorstellen, dass wir uns in wenigen Stunden im Amazonastiefland befinden werden. In Chairo angekommen, werden 21 Studenten und Studentinnen auf die wenigen Haushalte und Hinterhöfe Chairos verteilt und dürfen sich gegen eine kleine Entschädigung unter Eimerduschen und mit einem Stück Seife Schweiß und Sand von den Körpern spülen, bevor es in einer nervenzehrenden Nachtfahrt mit dem Bus über den Camino de la Muerte, die Straße des Todes Richtung Rurrenabaque im Madidi-Nationalpark und damit endgültig ins Einzugsgebiet des Amazons geht. Wir trennen uns vom Großteil unseres Gepäcks und verstauen nur das Nötigste in wasserdichten Packsäcken mit denen wir dann in langen Booten den Fluss Beni hinauf in den Nationalpark schippern, einlenkend in die zahllosen Seitenarme des Wassernetzes. Ein Wasserschwein am Ufer und die Papageien in den Bäumen beobachtend dringend wir tiefer und tiefer in den Wald hinein bis wir unser Lager erreichen und uns für drei Tage einrichten in grünlichen Pfahlhütten, in denen die Natur trotz Anwesenheit des Menschen herrscht. Eine Ameisenstraße bahnt sich ihren Weg über die Klobrille, Schmetterlinge und handtellergroße Spinnen hängen unter der Decke und eine Stabheuschrecke schaut mir beim Duschen zu. Der Wald schläft nie und doch habe ich in meinem Leben nie wieder so gut geschlafen wie dort unter diesem unfassbar großen Blätterdach unter dem es krabbelt und kreucht und fleucht, unter dem das Nachtkonzert aus Fröschen und zirpenden Insekten nicht ohrenbetäubender sein könnte. Die Affen schreien in den Bäumen während die Baumschlange unsichtbar wartend auf der Lauer liegt. Ich rolle mich unter meinem Fliegennetz zusammen und lausche dem heran rollenden Gewitter, meinen selbstgebauten Kokosnussring am Finger und den Duft des Beni-Wassers in meinem Haar, in dem ich heute Nachtmittag noch gebadet und an dessen steinigem Ufer ich in der Nacht die Sterne gezählt habe. Wo könnte der Mensch zufriedener sein als hier, wo er wieder auf das reduziert wird, was er ist: Ein Teil der Natur.