Kilian und Roman sind zurück. Mit ihren Packrafts haben sie wochenlang Jakutien bereist, den Nordosten Russlands. Ihre Lastenfahrräder schnallten sie immer wieder auf ein aufblasbares Kajak, um damit auf dem Fluss weiter voran zukommen. Hier berichten sie nun exklusiv von ihrer Reise – ganz der Reihe nach!

Bikerafting Jakutien Kilian Reil: Bikes von ToutTerrain

Wir sind zurück. Wohlauf, gesund und munter, das Hirn voll mit Eindrücken und Erlebnissen, die wir so schnell nicht vergessen werden. Aber wir werden es langsam angehen lassen und hier chronologisch berichten, was soweit geschah. Wir haben neben einigen tausend Fotos auch viel gefilmt. Ziel ist es, aus der Reise eine ca. 30 Minütige Doku zu schneiden. Wenn es soweit ist und es etwas zu sehen gibt, werden wir hier auch berichten.

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Von Anfang an hatten wir einige Hürden, die uns das eine oder andere Mal fast zum stolpern brachten. Aber frei nach dem Motto “Es hilf ja nichts“, heißt es jedes Mal aufstehen und weitermachen. Vorab lohnt es sich zu sagen, dass wir nicht in Sibirien bikeraften waren, sondern in Jakutien. Ähnlich wie der Zwiespalt zwischen Franken und Bayern, legen die Bewohner von Jakutien bzw. „Sakha Republic“ großen Wert auf die klare Abgrenzung.

Bikerafting Jakutien: Der erste Stresstest

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Samstag 28.08.2018. Es ist kurz nach sechs Uhr früh. Wir sitzen im Auto von Romans Papa auf dem Weg zum Münchner Flughafen. Er hat einen Camper, der genug Stauraum bietet. Beladen mit zwei ca. 40kg schweren Fahrradkoffern, zwei 30 kg Gepäckstücken und zwei 10 kg Handgepäckstücken steuern wir frühzeitig dem drohenden Stau davon.

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Die Sonne strahlt schräg über die Hügel, über die sich die A9 stetig windet. Roman liegt hinten und schläft. Er hat die Nacht davor kein Auge zu getan, sondern hat die Zeit noch mit seiner Freundin verbracht.

Ich döse auf dem Beifahrersitz. Frank fährt.

Nur kurze Zeit später wird sich an gleicher Stelle, die A9 zum größten Parkplatz nördlich von München verwandeln. Stau, kilometerlang. Die Sommerferien haben begonnen und tausende Autos wälzen sich in Richtung Süden. Wir sind nicht dabei. Der frühe Vogel und so…

Romans Papa drückt mit einem Lächeln aufs Gaspedal: „Normalerweise fahr ich mit einem Schnitt von unter 8 Liter pro 100km. Heute hab ich den Schnitt auf 8,6 Liter erhöht!“

Er ist es auch, der uns bei der Planung geholfen hat. Zum Leidwesen von Romans Mutter verbringt er Stunden vor russischen Karten und hat Wassergefälle und Strömungsgeschwindigkeiten gemessen. Er begleitet uns auch während der Reise mit Wettervorhersagen, Streckenangaben und gelegentlichen Neuigkeiten aus der westlichen Welt. (Bekannte Expeditionen vertrauen seit langem auf die passgenauen Wetterberichte von Karl „Charly“ Gabl aus Innsbruck, wir vertrauen auf die Berichte von Franky aus Alterlangen.)

Verdienterweise haben wir ihn schon frühzeitig mit dem Titel FBi gekrönt – „Frank Brünner Investigations“. Eine großartige Privatdetektei!

Noch unsicher, ob wir überhaupt nach Russland kommen, stehen wir pünktlich um 8 am Büro der Airlines. Nach unzähligen Telefonaten in den vergangenen Tagen ist es immer noch unklar, warum wir unsere Fahrradkoffer nicht anmelden können. Scheinbar hat niemand eine Ahnung. Wir werden ständig vertröstet. Sichtlich angespannt, haben wir die letzten Vorbereitungen getroffen, die Koffer gepackt und uns von Freunden und Familie verabschiedet. Mit der ständigen Befürchtung, dass unsere Reise scheitert, bevor sie begonnen hat.

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Der Büroleiter hat nach einiger Zeit endlich eine Antwort: die russische Gesetzgebung verbietet, mehr als 50kg pro Person auf Transitstrecken durchzuchecken. Heißt im Detail: Wir können das Gepäck nur bis nach Moskau schicken, müssen es dort wieder vom Band abholen und wieder komplett einchecken. Dass wir nur ein Zeitfenster von knapp einer Stunde haben, scheint hier niemand bedacht zu haben.

Der Büroleiter verabschiedet sich mit einer Floskel, die wir in den kommenden fünf Wochen sehr oft hören werden: „Good luck!“

Während wir also unser Gepäck neu sortieren um einen Fahrradkoffer mit 50 Kilo direkt nach Jakutsk zu schicken passiert einiges: gegen 7 Uhr früh gelangt eine unbekannte Person unbemerkt in den Security Bereich im Terminal 1 des Münchner Flughafens. Daraufhin wird dieser komplett gesperrt. 200 Flüge entfallen. Einige hundert Menschen haben einen schlechten Start in den Urlaub. Wir sind nicht dabei – das Glück ist mit den Dummen und so… In der Zwischenzeit verschlimmert sich der Stau auf der A9.

Bikerafting Jakutien: Der Engel von Moskau

Der Flug nach Moskau ist ohne Vorkommnisse. Im Landeanflug auf Moskau Domodedovo steigt der Adenalinspiegel wieder. Roman und ich schweigen viel. Gelegentliche Blicke bestätigen unsere Unsicherheit.

Der Flieger landet und die Spannung bleibt bestehen. Es dauert, bis die Türen des Flugzeuges geöffnet werden. Die Luft draußen ist zum schneiden dick und feucht mit Regen. Das T-Shirt klebt schweißnass am Körper. Mit Bussen gelangen wir nach einigen Kurven um das Flughafengebäude zum Terminal.

Die Passkontrolle besteht aus mehreren Glaskästen, in welchen schlecht gelaunte Damen mit großen Schirmmützen sitzen. Mir kommt es wie eine halbe Ewigkeit vor. Immer und immer wieder dreht und wendet die Frau meinen Pass. Durchleuchtet ihn, betrachtet ihn mit einer Lupe. Wir sehen die Zeit schwinden. Roman darf gehen, ich muss noch bleiben. „Vielleicht solltest du dir mal den Bart schneiden,“ denke ich mir, „dann würdest du nicht wie ein Terrorist aussehen.“ Die Frau lächelt gelangweilt, während sie mir einen Wisch zum unterschreiben hinlegt. Wahrscheinlich sind das die AGBs von Mother Russia. Oder ich kaufe eine Waschmaschine. Die Lampe an der kleinen Edelstahl Schranke springt von Rot auf Grün. Ich darf gehen.

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Roman hat währenddessen unsere Taschen vom Band geholt. Es fehlt nur noch der Fahrradkoffer. Nach einer weiteren Ewigkeit kommt er. Auch der „Manager for Sperrgepäck“ schaut uns genervt an. Scheinbar ist Sperrgepäck hier eher unerwünscht.

Der Büroleiter in München meinte noch in gebrochenem Englisch: „Wenn ihr mehr als 50 Kilo Gepäck habt, müsst ihr in Moskau eigentlich durch den Zoll. Aber ihr könnt auch einfach durch die „Nichts zu verzollen“ Schleuse durch. Aber beeilt euch. Dass fällt nicht auf.“

Wir flitzen durch den Customs-Bereich ohne Aufsehen zu erregen und stolpern in die riesige Abflughalle des Flughafens. Hier beginnt eine erneute Odyssee.

Am Expressschalter der Airline überzeugen wir einen Sicherheitsbeamten von der Dringlichkeit unseres Anliegens. Links und rechts reihen sich unzählige Russen an den Schaltern. Scheinbar ist hier auch Ferienzeit. Die Stimmung ist angespannt. Die Klimaanlage versagt gegen den feuchtwarmen Sommer. Ich hoffe uns riecht keiner.

Die junge Blondine hinter dem Tresen lässt uns auflaufen. Sie versteht kein Englisch, wir kein Russisch. Nach einigem hin und her versteht sie endlich, warum ein Koffer bereits auf dem Weg nach Yakutsk ist, während wir mit dem Rest hier neu einchecken. Sie fragt uns, wie wir zahlen wollen.

Roman und ich schauen uns an: „Bezahlt ist das Gepäck, sogar bis Yakutsk. Wir zahlen nicht mehr!“ Vergeblich, die Dame versteht kein Wort. Wir kommunizieren von einer Sackgasse in die nächste. Hinter uns bildet sich eine Reihe von ungeduldigen Reisenden, die ebenfalls den Expressservice beanspruchen wollen. Es scheint ausweglos. Wir müssen wohl noch einmal für das Gepäck zahlen.

Aus dem Nichts steht eine andere Frau neben uns. Sie fragt uns, ob wir Hilfe brauchen und fängt an mit der Schalterdame zu sprechen. Kurze Zeit später erhält sie von uns den Titel „Engel von Moskau“. Nicht nur aus optischen Gründen.

Sie übersetzt zwischen den Parteien und es dauert nicht lange und wir können das Gepäck aufgeben und halten die Bordkarten in der Hand. Die Schalterdame ist sichtlich erleichtert, dass sie uns los hat. Wir waren wohl etwas zu kompliziert. Der „Engel“, ihr echter Name ist Irina, verschwindet wieder in der Menge.

Jetzt schnell noch dass Gepäck am Sperrgepäcksschalter abgeben. Die Uhr drängt uns zu einem schnellen Lauftempo. Deo wäre mittlerweile mehr als hilfreich. Oder Wechselwäsche.

Der Security Bereich ist auch kein Problem trotz riesigem Kamerafundus, GPS Geräten und Drohne. Ich muss nicht einmal die ganzen Geräte auspacken.

Auf einmal stehen wir erleichtert am Gate. Geschafft! Und der „Engel von Moskau“ fliegt scheinbar auf dem selben Flug nach Jakutsk.

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