Ich kenne mich. & ich glaube, ich kenne mich recht gut. Sobald bei einer ungeliebten Aufgabe die geringste Ablenkung um die Ecke linst, bin ich die Erste, die diese beim Schopf ergreift. Die Erste, die die ungeliebte Aufgabe in eben jene Ecke pfeffert & auf die eigentlich anstehende Hausarbeit für die Uni pfeift.
Stattdessen wird sich auf Spotify wie besessen von einer Band zur nächsten geklickt, immer auf der Suche nach neuen Lieblingsliedern mit Ohrwurmpotential. Stattdessen wird bei Whatsapp getickert was das Zeug hält & der bevorstehende Abend, der nächste Urlaub & die geplante Reise zum Mond besprochen. In 5 Stunden, statt in einem 5-minütigen Telefonat.
Stattdessen wird Facebook angeschmissen, ein neues Gedicht für meinen Blog heruntergeschrieben & ganz beiläufig bei Twitter reingeguckt. Ich gestehe, ich bin bei zu vielen sozialen Netzwerken angemeldet.
Neulich dann die Nachricht – über eben einen jener Kanäle – von einem Freund aus Brasilien. „Atty, you should have Instagram!“ „Why Instagram?“, meine Erwiderung. „Because you love pics and have a unique point of view… the world needs to see it“, die Antwort in Sekundenschnelle.
Nicht wenig geschmeichelt, beginne ich natürlich sofort über diese Idee nachzugrübeln. Gedanken an das anstehende Referat, sowie der sich nähernde Abgabetermin der lästigen Hausaufgabe verpuffen im Nichts.
Sicherlich, ich liebe Bilder. Fotografiere, was mir so vor die Linse kommt, wenn auch nicht sonderlich professionell. Sicherlich, mein Kumpel kennt einige meiner Bilder & sie gefallen ihm scheinbar. Aber ob die Welt das sehen muss? Schnell wird mir klar, dass dies wahrscheinlich nicht der Fall ist.
Trotzdem melde ich mich an. Vielleicht muss die Welt nicht meine Bilder sehen, aber ich muss sie ihr zeigen.

Das alte Phantom Sucht, es nimmt mich an die Hand.

Schnell wird die Festplatte mit den Bildern hervorgekramt & in alten Ordnern gestöbert. Zugegeben, es sind wirklich einige schöne Aufnahmen dabei. Zumindest für mich, die damit etwas verbindet. Ein bestimmtes Gefühl, einen besonderen Gedanken oder ein tolles Gespräch.
Vielleicht geht mir ein #lieblingsmoment noch einmal durch den Kopf, wenn ich die Fotos so durchklicke & sortiere. Vielleicht kommt mir das #wanderglück noch einmal besonders intensiv in Erinnerung oder vielleicht höre ich beim schieren Anblick von #sonnestrandundmeer noch einmal die Brandung rauschen.
Ich nehme mir Zeit, die schönsten Bilder auszuwählen. Teils von meinen Reisen, teils aus meiner Heimat im Harz, oder dem elterlichen Bauernhof. Zwischen Landschaftsaufnahmen mit Wüsten, Eisbergen, Stränden, Geysiren & Gebirgen, das ein oder andere Foto von Sehenswürdigkeiten, Märkten oder stinknormalen Gebäuden. Ein Bild von mir in Rom, zwei Bilder mit meiner Schwester. Ein Schnappschuss von der Hochzeit meines ehemaligen Mitbewohners in Indien. Meiner Familie vor der Oper in Sydney. Eben Lieblingsmomente.
Während ich durch die Ordner schaue, penibel mit „2005“ bis „2015“ betitelt, werden in mühevoller Kleinstarbeit 10 Jahre Bildmaterial gesichtet. & dann ins weltweite Web geladen. Schön ordentlich mit Hashtags versehen, wie sich das nun einmal gehört.
Die Sucht, sie hat wieder zugeschlagen. Aber nach was genau bin ich eigentlich süchtig? Nach Selbstdarstellung? Aufmerksamkeit? Überheblichem Fingerzeig auf die Orte auf dem Globus, an denen ich schon gewesen bin? Ehrlich gesagt, ganz an den Haaren herbeigezogen scheint dieser Gedanke nicht.
Aber ist das nicht immer so, wenn wir etwas posten, etwas teilen? Handelt es sich nicht immer auch um ein Stückweit Darstellung unserer Selbst?
Doch will ich auch etwas anderes teilen.
Erfahrungen, Eindrücke, Erlebnisse. Lieblingsmomente eben.
Genauso wie ein Blogeintrag Gedanken & Geschehnisse reflektieren soll & dabei gleichzeitig vielleicht anderen Menschen eine Freude macht oder sie zum Nachdenken anregt, so will ich das Gleiche mit meinen Fotos auch bezwecken. Was fürs Herz. Was für den Kopf. Was für die Seele.

Erinnerungen an morgen

Mittlerweile dudelt mir ein Song einer Spotify-Neuentdeckung über Kopfhörer ins Gehirn. Mittlerweile wird über Whatsapp Silvester geplant, habe ich zwei neue Freunde bei Facebook.
& da bin ich wieder. Zurückgeholt aus Erinnerungen an eine Wohnmobilreise durch die kanadischen Rockies, die Teilnahme an einem Entwicklungshilfeprojekt in Südamerika, oder eine Wanderung über den Laugavegur auf Island. Weggerissen von Gedanken an den Taschendieb in Pisa, die Frauen von der Teeplantage in Indien oder das kleine Mädchen aus dem Kinderheim in Santiago de Chile.
Da bin ich wieder im Jahr 2015. Im Erasmussemester in Südfrankreich. Momente des Reisefiebers & des Fernwehs.
Meine externe Festplatte blinkt. Der Laptop ist längst heiß gelaufen. Draußen schieben sich die Wolken vor den Mond. Es ist 2.09 Uhr.
Voller Erinnerungen an vergangene Tage beschließe ich ins Bett zu gehen. Heute will ich keine Gesellschaftskritik üben. An unserem Umgang mit Internet & Co. Der Freizügigkeit, mit der wir Privates ins Netz laden. Der Schnelllebigkeit. Scheinbarer Arroganz. Einem möglichen Problem unserer Generation. Heute will ich einfach nur vom Reisen träumen.
Die Sucht, sie heißt eigentlich Sehnsucht.
Ich will davon träumen, wieder unterwegs zu sein. In fernen Ländern oder im Nationalpark um die Ecke. Einfach um den Moment zu genießen. Ob ich davon wirklich ein Bild bei Instagram posten muss, werde ich mir noch überlegen.
Die Sehnsucht. Sie wiegt mich in den Schlaf. Wieder einmal.

 

Die Autorin: Ich bin Astrid (26), Studentin, gerne unterwegs & gern zu Hause. Neben Sprachen & Reisen kann ich mich für großartige Kleinigkeiten, sowie Momente mit Freunden & Familie begeistern. Ich lese gern & schreibe, ich gehe gern & bleibe.