Rumpel, rumpel. Willenlos pendelt und schlingert mein Kopf im Inneren des kleinen, weißen Toyotas umher, folgt artig dem Gang der Bodenwellen, jedem hopsenden Sprung über Fußballgroße Steinbomben. Ein großer, schwarzer Gummireifen schiebt sich raumgreifend vor das kleine Toyotafenster und verdunkelt kurz das behagliche Innere. Rums. Der Gummireifen klebt an der Tankklappe und quietscht sich aus meinem Blickfeld. „Oh my! Shouldn‘t we stop?“ Irritiert äugt die amerikanische Mittfünfzigerin aus ihrem pinken Wärmekragen zum Fahrersitz herüber und umklammert die kleine Kompaktkamera. Doch der Gummireifen zieht bereits landeinwärts und wir weiter unserer Wege. Wir sind in Island. Oder auf Island. Dieser wunderbaren, vulkanisch hochaktiven Insel im kalten Nordmeer, auf der es mehr Schafe als Menschen und fotographisch mit Sicherheit eine der lohnenswertesten Landschaften gab. Kurzentschlossen hatten Juliane und ich günstige Flüge gebucht und die Rucksäcke gesattelt, um einen für Island vielleicht utopischen Low-Budget-Urlaub in den arbeitsreichen Herbst zu schieben. Und nun sitzen wir da auf unserer kostenlosen Rückbank bei zwei Amerikanerinnen aus Missouri und Tennessee, die uns aus der buchstäblichen Tramper-Wüste gerettet hatten und können unser Glück kaum fassen. 35km bis zum Landmannalaugar, 35km bis zum Startpunkt unserer 4-tägigen 53km-Trekkingtour, dem Laugavegur, den wir dank der Beiden noch heute in Angriff nehmen konnten. Vom Landmannalaugar bis Þórsmörk.
Laugavegur: Zum Landmannalaugar
Die Landschaft spielt Chamäleon, färbt sich von braun zu bunt und überzieht mit malerisch kupferfarbenen Rot- und Grüntönen die zerfurchten Bergketten vor dem Toyotafenster. Eine Gruppe Island-Ponys trägt mit hängenden Köpfen highly equipte Inseltouristen am Straßenrand Richtung Weltnaturerbe. Nervös wippt mein Bein auf und ab und im Geiste schleppen wir unsere völlig überladenen 20 kg-Rucksäcke mit hochroten Gesichtern das Höhenprofil hinauf und hinunter… Mit rudernden Lenkradarmen passieren wir eine kurvige Engstelle und endlich bricht die Landschaft auf, erstreckt sich mit grünen Grasfluren und stahlgrauen Wasserläufen vor uns über die Tiefebene. Am Horizont die winzige Zeltstadt Landmannalaugars und eine beachtliche Ansammlung elegant geweißter SUVs, in dessen monotones Parkplatzbild wir uns nahtlos einfügen. Nice! Wir zerren unsere Rucksackmonster aus dem Kofferraum und lächeln zum Abschied nochmal kollektiv in die Kamera. Es ist 15 Uhr und wir sind schon reichlich spät dran für die erste Etappe, die wir heute noch abreißen wollen. Romi und Samu, zwei Freunde aus Deutschland hatten sich gegen die kostenlose Variante entschieden und schon früh per Bus zum Etappenstart karren lassen. Während wir uns noch zwischen buntem Trekkingvolk zum Infohäuschen schlängeln, hatten sie wahrscheinlich schon die Zeltfahnen an der ersten Hütte gehisst und ein Süppchen über dem Kocher aufgesetzt.
Laugavegur: Lasset die Spiele beginnen
Während wir über Holzbohlen zum roten Startpunkt eiern, steigt schwefliger Dampf aus der zerklüfteten, brodelnden Erde und hüllt uns in einen Mantel aus Wärme. Das Höhenprofil der Tour ragt auf einem wettergezeichneten Fetzen Papier an der Hüttenwand in unser Sichtfeld und gräbt sich mit 450 Höhenmetern auf knapp 12 km in die Magengegend. In 4-5 Stunden soll es über den steilsten Abschnitt des Treks bis Hrafntinnusker, der ersten Hütte in den Bergen gehen. „Recht sportlich für heute“ flüstert mir mein abartig schwerer Rucksack frohlockend über die schmerzende Schulter ins Hirn, „locker machbar“ entscheiden wir und ignorieren die bereits fortgeschrittene Stunde und völlige Übermüdung vom gestrigen schlaflosen Anreisetag. Ein Schild warnt vor übermäßiger Wasserführung der Flussläufe ab Etappe 3 und ich sehe mich schon wie ein Lastesel in die Fluten kippen. Drei Liter Wasser wandern wie Zementblöcke in unsere Trinksysteme und eine Portion Trockenfutter in den Bauch. Dann geht es los, über die kleine Holzbrücke zur steinernen Treppe, die unscheinbar in die Höhe klettert. Wir setzen einen Fuß vor den anderen. Ich taumele. Stemme meine protestierenden Beine gegen die Schwerkraft, die mich mit dem Rucksack hangabwärts zerren will. Scheiße, ist das schwer! Unsere Rucksäcke ragen wie gigantische Leuchtbojen über unseren Köpfen auf und übertreffen deutlich das Packvolumen unserer Mitläufer. Wir haben zu viel dabei und zwar ordentlich! Mein Kopf glüht inzwischen in den lebendigsten Farben und ich traue mich kaum Blickkontakt aufzunehmen, weil ich weiß: Ungefiltertes Mitleid würde uns entgegenschlagen, der wissende Blick der leichtfüßigen Minimalisten, die sich mit einem Blick ausrechnen können, das wir nicht nur 33% unseres Körpergewichtes auf dem Rücken tragen. Wir sind keine Anfänger, wir haben solide gepackt. Aber da ist das Kamera-Equipment, da sind all die Dinge, die wir in den nächsten zwei isländischen Wochen brauchen werden… Nur eben nicht jetzt.
Laugavegur: Von Höhen und Tiefen
Während ich was von Gepäckeinlagerung murmele, haben sich meine Beine schon zum schwarzen Lavafeld von Laugahraun hochgearbeitet. Scharfkantiger Obsidian ragt in skurrilen Formationen um uns herum in den blaugraunen Himmel und der Blick fällt voraus auf die kupferbunten Hänge der Brennisteinsalda, die wir nun emporsteigen. Heißer Wasserdampf zischt und brodelt aus jeder Ritze der zerklüfteten Erdoberfläche, hinterlässt weiße Kalkausfällungen auf braunen Rhyolithgestein. Eisenablagerungen mischen sich rosa zwischen schwarze Asche und türkisblaue Seen, die das gräuliche Weiß der Schneefelder wiederspiegeln. Bunt, bunt, bunt und wir kämpfen uns Meter um Meter empor, saugen schweigend jede Facette dieser absolut gigantischen Landschaft auf die Speicherkarte und ins Hirn! Wenn nicht dafür, wofür lohnt es sich dann zu leben und Grenzen zu testen! Waren wir vorher umringt von bunten Backpackern, sind wir bald ganz allein auf weiter Flur in den Bergen der Brennisteinsalda, die langsam mehr und mehr von regenschweren, tiefhängenden Wolken verhüllt wird. Wetterwarnungen geistern durch unsere Köpfe und wir kämpfen uns mit weichen Beinen schneller hinauf auf die Hochebene, stecken bald inmitten einer nieselig, nebligen Suppe zwischen nasskalten Schneefeldern. Der Regen nimmt zu und ein eisiger Wind bläst uns den Schneeregen in Kapuze und Hosenbeine. Ich merke, wie ich auskühle in meinem T-Shirt unter der Regenjacke und der nassen Fjällräven-Hose, doch wir haben den Moment verpasst, uns schnell und trocken in warme Klamotten zu hüllen. Inzwischen ist der Regen so stark, dass er unsere Rucksackinhalte sofort durchweichen würde. Wir gehen schweigend schneller und die Stimmung zwischen uns verändert sich, drückt auf das aufkeimende Gefühl der Unruhe im Bauch und wir beide merken, das fühlt sich ungut an. Der Weg ist im Nebel verhangen und wir sind allein, haben kein Gefühl für die Entfernung und wissen nicht, wie weit es noch ist. Inzwischen zittern wir vor Hunger und Kälte während unsere tauben Finger mit dem knisternden Papier der Energieriegel kämpfen. Innerlich verfluche ich uns für unseren Leichtsinn, uns nicht rechtzeitig gegen Regen und Kälte geschützt zu haben und weiß, dass das hier richtig scheiße ist. Bald gehen wir so schnell, dass sich endlich bunte Regenhüllen vor uns aus dem Nebel schälen. Wir überholen Backpacker um Backpacker und passieren eine Gedenktafel am Wegesrand: „In loving memory of Ido Keinan who passed away in a blizzard so close to the safe hut nearby yet so far at only 25 years old, June 27th, 2004.“ Ausgepowert wie wir sind, gehen die Worte an die Nieren und erinnern daran, wie wenig wir im Ernstfall den Naturgewalten Islands entgegenzusetzen hätten.
Laugavegur: Eiszeit
Endlich tauchen verschwommene Hütten und Zelte aus den Wolken auf, ducken sich im Wind hinter schwarze Steinringe und flattern im Regen hin und her. Wir irren umher auf der Suche nach einem windgeschützten Fleckchen Erde und wollen nur noch raus aus den nassen, schmatzenden Schuhen, hinein in den hoffentlich trockenen Schlafsack. Doch wir sind spät und kaum ein Steinring ist unbewohnt in der heraufziehenden Dunkelheit. Ein kleiner Ring am Ende des Feldes ist noch frei, gerade groß genug für unser grünes 2-Personen-Zelt und wir zerren mit tauben Fingern die Plane aus der Trägerhülle. Verbissen arbeiten wir zu zweit, versuchen mit Steinen die Heringe in den felsigen Boden zu treiben und die Plane im Wind am Boden zu halten. Es regnet stärker und wir sind von oben bis unten beschmiert mit lavaschwarzem Dreck, der an den Fingern klebt. Kaum ein Hering hält lang genug im Boden, rutscht heraus oder gar nicht erst in den Boden hinein. Fieberhaft versuche ich, dieses bescheuerte Zelt zu fixieren und den Gedanken zu verscheuchen, dass es nicht geht. Die Energie suppt wie Wasser aus einem löchrigen Eimer aus mir heraus und ein merkwürdiges Gefühl macht sich breit, eine Mischung aus Kraftlosigkeit, Verzweiflung und Apathie. Obwohl durchnässte Menschen an uns vorbeihasten und wir nicht alleine sind, habe ich das Gefühl gerade leichtsinnige Scheiße zu bauen. Wann fängt Unterkühlung eigentlich an? Als ich Juliane ins Gesicht schaue, ist klar, dass wir ganz schnell ins Warme müssen. Ihr Gesicht ist schneeweiß und die Zähne klappern unkontrolliert aufeinander. Wir sichern das Zelt und klettern mit unseren Rucksäcken zur Hütte empor. Der winzige Trockenraum platzt aus allen Nähten und wir quetschen uns zitternd in eine Ecke. Triefend nass wandern Hosen, Schuhsohlen und Schlüpper auf freie Haken bevor wir uns in trockener, warmer Kleidung vergraben. Nice! Mit erwärmten Gliedmaßen und Hilfe von nebenan steht auch die grüne Behausung bald Wetterfest auf Lavasand und die Tütennahrung köchelt wohlmundend chemisch vor sich hin. Uns tut alles weh und wir sind völlig fertig nach dem wirklich unguten Ende unserer ansonsten traumhaften ersten Etappe. Ehrlicherweise überlegen wir abzubrechen, sollte sich das Wetter nicht bessern. Morgen. Morgen ist ein anderer Tag. Unsere Kleidung trocknet still in der Hütte vor sich hin und wir schlafen wie die Steine während der Wind fauchend am Zelt rüttelt.
Stimmung im Eimer oder was nun? Ob wir die Tour fortsetzen oder uns das Regenwetter einen Strich durch die durchnässte Rechnung macht, erfahrt Ihr bald in Teil 2 des Laugavegur!
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