Am nächsten Tag sieht die Welt schon ganz anders aus. Die Sonne blinkt durch den Reißverschluss unserer Muffhöhle und der Gerstenbreit mit Nüssen treibt Zucker durch unsere müden Blutbahnen. Unser Entschluss steht: Der Trek wird durchgezogen! Wir pflücken Socken und Jacken aus dem Trockenraum und ich krauche unter eine Heizung, um meiner Hanwag-Schuhsohlen habhaft zu werden. Schuhsohlen trocken, Lederschuhe nicht. Egal! Ich stecke die Dinger in meine Lieblingstreter und stutze. Zu klein?! Hektisch durchpflüge ich die wenigen verbliebenen Kleidungsstücke der restlichen lahmarschigen Backpacker, die das Camp noch nicht in den frühen Morgenstunden verlassen haben. Fehlanzeige. Jemand hat meine Schuhsohlen entwendet und mich mit diesen Winzdingern zurückgelassen. Zwei Nummern zu klein und meine Zehen erfreuen sich von nun an einer wunderbar spürbaren Kante im vorderen Fußbett. Das nasse Leder quietscht kläglich während ich mit  klammen Socken Richtung Zeltplatz latsche und mich frage, wer meine schönen Sohlen mit dem Messer auf Passform zurechtstutzen musste.

 

Laugavegur: Dinoland voraus

Nachdem wir alles gesäubert, gepackt und dieses Mal gegen eventuelle Schlechtwettereinbrüche geschützt haben, stiefeln wir los. Der Weg führt von Hrafntinnusker über ein weitläufiges rotbraunes Hochplateau zerfurchter Rhyolithberge, denen die Schmelzwässer der aufliegenden Schneefelder tiefe Falten ins Gesicht gemalt haben. Hoch und runter rutschen wir in sandige Tälchen, arbeiten uns wieder hinauf, queren dünnhäutige Schneefelder während sich vor uns bunte, kleine Männchen ihren Weg durch die urzeitliche Landschaft bahnen. Romi und Samu traben mit minimalistischem Gepäck leichtfüßig vorweg während Juliane und ich gebeugt wie zwei Bergtrolle hinterher rollen. Kameraausrüstung, Wechselkleidung – Luxusgut für das wir jetzt mit Schweiß bezahlen. Bald reihen auch wir uns ein in die bunte Schnur, die sich den steilen Hang zum höchsten Punkt der Etappe emporzieht, fordern unsere Muskeln nochmal heraus und dann stehen wir oben und blicken zurück auf diese merkwürdig weiche, kissenartige Landschaft ehemaliger Eruptionsereignisse. Der Blick nach Süden ist absolut gigantisch! Am anderen Ende des Horizontes glitzert uns unser Etappenziel aus der Ferne aufmuntert zu: Álftavatn, See und Campingplatz für die zweite Nacht auf dem Laugavegur duckt sich tief unten in einem Panorama der Superlative. Schwarz-grün bewachsene Vulkanketten ziehen sich aufgefaltet wie der Stoff eines zusammengeschobenen Tischtuchs hintereinander, umrahmen von Flussläufen zerschnittene Sedimentflächen. Es fällt nicht schwer sich vorzustellen, wie die Erdkruste hier wie eine dünne Haut auf dem flüssigen Erdmantel gestaucht und von austretender Lava geformt wurde.  Still sitzen wir auf dem steinigen Untergrund und blicken hinab in die Dinolandschaft während neben uns ein fauchender Geysir seine eierlastigen Dämpfe in den Himmel speiht. Eierbraten wäre auch mal eine Option auf dem fleißigen HotSpot…

 

Laugavegur: Socialising am Álftavatn

Nach der Brotzeit machen wir uns an den Abstieg, der mächtig in die Beine geht. 300 Höhenmeter rutschen wir den Jökultungur  hinab, müssen immer wieder stehen bleiben, um nicht nur unsere Füße im Geröll sondern auch die astreine Aussicht im Blick zu haben. Ein schwarzer Schrank wankt vorbei und müht sich mal rückwärts mal seitwärts  auf zwei dünnen Salzstangenbeinen sichtlich damit ab, nicht versehentlich ins Rollen zu geraten. Der Schrank dreht sich um und entpuppt sich als eine zierliche Schwedin, die  abartige 28kg auf dem Rücken schleppt und es damit bereits in die Annalen des Laugavegur geschafft hat. Wir sollten sie später in Álftavatn frisch geduscht mit einer neuwertigen Thermoskanne vor ihrem roten 3-Personen-Hilleberg-Zelt sitzen sehen, wo die Tour für sie beendet ist. Immerhin: Man spricht von ihr. Auf den letzten Kilometern bis Álftavatn durchqueren wir die begrünte Tiefebene mit ihren bauschigen Islandschafen und erreichen am Nachmittag unter einem regenschweren Himmel zufrieden das Camp. Müde aber glücklich legen wir die Beine hoch, diese wunderbar widerspenstigen, drahtigen Körperteile, die ja doch immer wieder jeden Scheiß mitmachen.

Den niedergehenden Wolkenbruch verbringen wir dieses Mal völlig entspannt bei Chemie-Süppchen und Pastagericht an der überdachten Hüttenwand des Infohäuschens. Nudeln wandern in unsere Mägen und Blicke über die Armee kleiner grüner Zelte, die sich unserem einst einsam gelegenen Lieblingszelt invasiv nähert. Bald ist es verschwunden in einem Meer aus Zweiraumwohnungen, lugt mit windschiefer Spitze traurig zu uns herüber. Wir kauen still. Bald kreuzen unzählige hochmotivierte Mittvierziger die Talfläche vorm malerischen Bergsee-Idyll: Zieleinlauf eines britischen Spendenlaufs, der sich lauthals mit dem Zeltaufbau plagt. Och nö ne! Ein Fjällräven-Pärchen schlappt heran, dem wir bereits vorher schon auf dem Trek an den Fersen klebten. Sibylle und Jonas teilen nicht nur die Leidenschaft für’s Reisen, sondern auch die gleiche rostbraune Schwedenhose und werden mit uns im Zwillingsoutfit noch den einen oder anderen wunderbaren Kilometer teilen. Am Abend pilgern wir zum Álftavatn, aalen uns im goldenen Sonnenschein unter dem Regenbogen und krauchen für eine eisige, sternenklare Nacht in unsere pupswarmen Schlafsäcke. Die Polarlichter tanzen in dieser Nacht unbemerkt bunt und lautlos über das schwarze Himmelszelt!

 Zwei Etappen noch auf dem Laugavegur! Da müssen wir durch: Durch schwarze Lavawüsten und eiskalte Gletscherflüsse. Und eine mediterrane Prärie, die für uns langweiliger nicht sein könnte. Der Rucksack wird kleiner, die Kilometerzahl auch, in unserem Teil 3 des Laugavegur!