Kanutour Schweden: Das Abenteuer beginnt! Es geht los und wir stechen in See! Doch wie stellen wir uns an? Und passt die Gruppe zusammen? Falls du mittendrin angefangen hast, geht’s hier zu Kapitel 1, Kapitel 3, Kapitel 4, Kapitel 5, Kapitel 6, Kapitel 7, Kapitel 8 & Kapitel 9 der Schweden-Tour.
Am Samstagmorgen ertönt zu christlicher Stunde um 8:00 der liebliche Laut meines Handyweckers und scheucht mich aufgeregt und vorfreudig unter die kalte Dusche. Gesäubert und sortiert sitze ich zur verabredeten Frühstückszeit auf meinem komprimierten Reisegepäck und wundere mich über die gelassene Stille im Haus. Haben denn alle verschlafen? Und während ich den samtweichen Pfoten der Haustiger auf der Flurtreppe lausche, dämmert es mir plötzlich: Mein Wecker läuft nach finnischer Zeit, ich bin eine Stunde zu früh aufgestanden. Verschämt rolle ich mich noch einmal in der Morgensonne auf der Tagesdecke ein und hole mir die gestohlene Stunde Schlaf zurück. Nach dem Frühstück brechen wir auf, entlassen Raphael auf das Papiermühlendach und zockeln gemächlich dem entfernten kleinen Nest Lennartsfors entgegen. Viki und Anders haben es nicht nur auf sich genommen, mir die Anreise nach Töcksfors zu erleichtern, mich zu beherbergen und zu verköstigen sondern mich ebenso bis zum Ziel zu transportieren. In Anbetracht des nicht existenten Öffentlichen Nahverkehrs eine Geste, für die ich immer noch wahnsinnig dankbar bin! Pünktlich um 11:00 erreichen wir das Scandtrack-Basiscamp und den Zeitpunkt des Abschieds, den ich immer weniger leiden kann. Ich hole mein Gepäck aus dem Kofferraum, nehme meine Gastgeber noch einmal in den Arm und drehe mich um, marschiere zwischen den erstaunlich zahlreichen Mitpaddlern über die Wiese in Richtung eines großen roten Scandtrack-Zeltes. Guide Falk, den ich peinlicherweise ausversehen erst einmal auf Englisch anspreche, klärt mich auf: Hier trifft sich heute nicht nur die OTT, sondern noch weitere bis zu 200 Menschen, die sich in kleinen Grüppchen mit uns eine Woche lang über die Seenplatte verteilen sollten. Schnell wird mir klar: Wir befinden uns hier praktisch auf deutschem Boden, in einer deutschen Blase im schwedischen Land. Deutsches Essen, deutsche Guides, deutsches Equipment. Irgendwie ärgert mich das, bestätigt es doch das Bild der Deutschen, das ich schon in Lappland kennen und fürchten gelernt habe. Auch hier wird alles aus Deutschland mitgebracht, die schwedische Wirtschaft minimal unterstützt. Was bleibt, ist der Dreck.
Kanutour Schweden: Bewaffnet bis an die Zähne
Aber egal, in Anbetracht der vielen jungen hochmotivierten Menschen um mich herum habe ich auf einmal richtig Bock auf diese Geschichte und tingele mit meinem Osprey zu einer sonnigen Bierzeltgarnitur hinüber. Melik, ein weiterer OTT-Teilnehmer aus Berlin sitzt bereits mit Sonnenbrille und Unterhemd entspannt in der Mittagshitze und unterhält sich mit David, unserem Guide für die Woche, über unser Vorhaben. Mit zwei Stunden Verspätung entlädt der ankommende Bus aus Hamburg auch den Rest unserer bunt gemischten Gruppe auf den grünen Rasen und bei Hotdog und Kaffee darf sich das erste Mal über das Wurstbrötchen hinweg beäugt werden. Schnell wird klar: Hier sind Profis am Werk. Die Kamera-Ausstattung ist wahrscheinlich besser als bei jeder Gala-Veranstaltung und Outdoor-Erfahrung bringen hier sowieso fast Alle zur Genüge mit. Neun Glückspilze in vorfreudiger Stimmung, Studenten in der Überzahl und zwei gesellschaftlich und ökonomisch bereits sozialisierte Alttiere. Binnen kürzester Zeit beginnt ein gruppendynamisches verbales Wettrüsten, in dem ein jeder einmal seine Outdoor-Eignung in jedem zweiten oder ersten Nebensatz fallen lässt. Ich bin zunächst einmal irritiert und übe mich in finnischem Schweigen. Hierarchisch ist das natürlich ein wenig kluger Schachzug, da sich die gruppeninterne Position damit recht schnell ans untere Ende verlagert. Doch nach der kleinen Stärkung zockeln wir nun erst einmal gemütlich mit unserem Gepäck zu unserem ersten Campingplatz, einem Gewässernahen Stück Wiese mit Anbindung zu Spültoilette und kalter Dusche. Es folgt die obligatorische Vorstellungsrunde und dann endlich: Bescherung!! Große rote, wasserdichte Geschenketütchen von Globetrotter werden uns von David ausgehändigt und wir lassen uns an Ort und Stelle ins sonnige Gras fallen, öffnen die Ortlieb-Packsäcke und entleeren deren bunten Inhalt in unseren Schoß. Kinder unterm Weihnachtsbaum, das finanziell schwer mitgenommene Studentenherz schlägt schneller. Jeder für sich ziehen wir munter durcheinander plappernd und lachend das geschenkte Utensil aus dem Equipment-Haufen: Essgeschirr, Schlafsack, Schnitzmesser, winddichte Jacke, Outdoor-Handtuch, Sitzkissen, Halstuch und ein OTT 2015-TShirt. Astrein! Nun darf der eigene Rucksackinhalt inventarisiert und das mitgebrachte Gepäck mit den Geschenken aufgestockt werden. Was doppelt ist, darf zu Hause bleiben und wandert in den Planwagen, was fehlt, das fehlt eben. So geht auch meine Spekulation auf ein paar Outdoor-Trittchen leider nicht auf und ich muss mich die Woche mit meinen stinkenden Iltislatschen und der Barfüßigkeit begnügen. Danach werden wir unseren acht großen blauen Futtertonnen vorgestellt, die uns die nächste Woche geduldig ernähren werden. Wir verteilen Dosenfutter, Backzutaten und Brotzeiten auf einer Plane und sortieren in einem bisher noch schlüssigen System Zutaten und Tonnen nach Inhalt. Die störende Suche nach dem Nutella-Glas am Morgen soll damit unterbunden werden. So zumindest der Plan. Brot und Aufstrich werden direkt einer Qualitätskontrolle unterzogen und die erste Packung Kekse geöffnet. Ein fataler Fehler, wie sich später herausstellen sollte.
Kanutour Schweden: Wenn das Zelt ein Schnippchen schlägt
Ja und dann folgt die erste Bewährungsprobe: Sechs von Globetrotter und Scandtrack gestellte Zelte müssen verteilt und auf unserem grünen Fleckchen Erde aufgebaut werden. Alle Zelte unterscheiden sich in Größe, Funktionalität und Schwierigkeitsgrad und müssen in der kommenden Woche von allen Teilnehmern jeweils einmal aufgebaut und genutzt werden. Und was ich befürchtet hatte, tritt nun tatsächlich ein. Der simple Zeltaufbau mutiert zu einem unausgesprochenen, aber verbissenen Wettkampf um die effizienteste und vor allem schnellste Bauweise, der jedem Teilnehmer sofort den Outdoor-Kompetenz-Stempel auf die Stirn drücken würde. Zweifelnd halte ich das riesige 4-Personen-Marmot-Zelt in die Höhe, das Gabi für uns vom Hänger geholt hat. Ihr geht es um Komfort, ich hätte lieber mein Gesicht bewahrt und ein einfaches, schnelles Zelt gewählt. Aber so schwer kann das ja nicht sein, ist ja nicht mein erstes Zelt…denke ich, bis ich ratlos vor dem Endgegner niedersinke. Wohin bloß mit den ganzen Schnüren und wo ist die IKEA-Bauanleitung? Ich kapituliere und informiere David darüber, dass entweder zwei Heringe fehlen oder ich schon beim ersten Zelt meine Unfähigkeit bewiesen habe. Letztendlich fehlten zwei Heringe, doch natürlich war offensichtlich wie lange Gabi und ich an einem simplen Zelt herum gepuzzelt hatten, während die Anderen schon auf der Slackline turnten oder das Gruppen-Equipment von Globetrotter unter die Lupe nahmen. Wir waren jetzt die zwei Blondchen vom Dienst und dieser Eindruck musste erst einmal wieder abgelegt werden, sagte mir meine Erfahrung aus zahlreichen Uni-Exkursionen.
Während der Vollmond rot und groß über dem Wasser schwebt und unsere Zelte in ein schummriges Licht taucht, widmen wir uns unserer ersten warmen Mahlzeit über dem Lagerfeuer. In einer schweren schmiedeeisernen Familienpfanne zaubern wir aus Kartoffeln, Bohnen, Zwiebeln und Speck einen hervorragenden würzigen Pamp, der laut Outdoor-Kochbuch mit Terence-Hill-Pfanne zu betiteln ist und den wir genussvoll aus unseren neuen orangen Futternäpfen löffeln. Lecker! Das prasselnde Feuer ermuntert zu Lagerfeuergesprächen, die allerdings noch etwas sehr höflich und zurückhaltend in Gang kommen. Noch benimmt man sich, versucht die Mitreisenden einzuschätzen, Freund von Feind zu unterscheiden. Es folgt ein Eimer-Abwasch und ein Schlückchen Bison-Wodka, dann kriechen wir in unsere Zelte und in unsere neuen Schlafsäcke und schlummern uns in einer milden Nacht dem ersten Kanutag unserer Kanutour Schweden entgegen.