Kanutour Schweden: Schlecht geplant ist voll daneben! Tag 8, du Unglücksrabe. Was auf einer Heimreise alles schiefgehen kann und warum es sich manchmal doch lohnt ein bisschen vorsichtig zu sein.
Noch nicht ganz im Bilde? Dann lies Dir doch Kapitel 1, Kapitel 2, Kapitel 3, Kapitel 4, Kapitel 5, Kapitel 6, Kapitel 7 & Kapitel 8 der Schweden-Tour noch einmal durch.
Als ich am Morgen in einem rosigen Sonnenaufgang aus dem Zelt klettere, sind auch die Anderen bereits ungewöhnlich früh wach und zwei blaue Tonnen thronen dekorativ auf der Inselnase. Jana und Melik haben, dieses Mal erfolgreich, am Morgen zum zweiten Schlag ausgeholt und das friedliche, ahnungslose Völkchen ihrer Frühstückstonnen beraubt. Jana strahlt unter ihren Teddyohren über das ganze Gesicht vor sich hin und wir durchsuchen den Tonneninhalt nach brauchbaren Naturalien. Doppelkekse: Fehlanzeige. Dafür Streichkäse und zwei Tafeln Schokolade, die die Beraubten später verschämt als Auslöse zu uns herüberbringen würden. Wir sitzen zwischen Geschirrbergen und Lebensmitteln beim Frühstück und beobachten das Geschehen der Nachbarinsel, während die unheimlichen Rufe der Prachttaucher wie Ringgeister um unsere Insel wabern. Keiner will so wirklich zurück. Doch noch ein letztes Mal packen wir nun unser Equipment zusammen, besetzen die Boote und paddeln etwas betrübt dem Ende unserer Tour entgegen. Um 10:30 legen wir am Scandtrack-Sammelpunkt an und entladen in reger Geschäftigkeit die Boote, tragen das Equipment zum Ausgabezelt hinauf und sortieren unseren Kram. Um uns herum ein Haufen Angereister, die noch sauber bis unter die Haarspitzen ihre Ausrüstung entgegen nehmen und ich fühle mich irgendwie fehl am Platz. Wir richten uns an einer Bierzeltgarnitur häuslich ein und kauen wie ein Grüppchen dreckiger Gestrandeter Vollkornbrot mit Nutella. Stumm betrachten wir das Spektakel. Gesprächsfetzen angestrengten Kennenlernens wabern zu uns herüber und erinnern an unseren Start vom letzten Samstag. Verrückt, wie schnell man sich so gut kennen lernen , wie schnell man zu solch einer tollen Truppe zusammenwachsen kann.
Kanutour Schweden: Insomnia
Mein roter Osprey hängt auf meinem geduschten Rücken und ich schiebe einen Zettel mit Telefonnummern in meine Tasche. Ich muss schon jetzt zurück nach Finnland, zurück in mein Auslandsjahr während die Anderen erst am Abend gemeinsam Richtung Hamburg starten werden. Wieder so ein verhasster Abschied, wieder ein völlig verrückter Trip, der vor mir liegt. Jana bringt mich noch zum Taxi und für schmerzhafte 55€ werde ich nach Årjäng chauffiert, von wo ich nach einem kurzen Supermarktbesuch mit dem Bus Richtung Stockholm aufbreche. Still leide ich auf der Fahrt vor mich hin, vermisse meine Herde und schnuppere wehmütig an meiner rauchigen Jacke, die mich an bessere Zeiten erinnert. Volle fünf Stunden schreibe ich meine Erinnerungen in meinem knittrigen Reiseheftchen nieder und halte die Illusion der OTT bei krümeligem Vollkornbrot mit Scheibenkäse noch ein klein wenig aufrecht. In Stockholm kippt mich der Bus auf einem süffigen Bürgersteig in Regen und Dunkelheit und ich durchkämme einen futuristischen Großbahnhof nach dem Gate für meinen nächsten Bus. Meine Laune sinkt und ich finde es plötzlich gar nicht mehr so geil alleine durch die Weltgeschichte zu streifen. Fremde wandern um meine Insel aus Gepäck und ich starre sie böse an, als könnten sie etwas für meine Situation. Und dann geht es weiter, neun Stunden nach Umeå, neun Stunden, in denen ich im komatösen Wachschlaf meinen Sitz vermesse, mich links und rechts strecke und verbiege bis der Tag wieder vor dem Fenster graut.
Kanutour Schweden: Minimalisten
5:30. Vogelgezwitscher empfängt mich unter einem freundlichen hölzernen Dach am Bahnhof Umeå und ich befinde mich plötzlich in einer künstlerischen Anordnung von Farben und Formen. „Few“ steht in großen silbernen Lettern an der Wand. Ja, few…Vielleicht mein Credo für die nächsten Monate. Kein Job, kein Geld, aber auch mal Zeit zum Ausmisten. Ich wende mich ab und steige in meinen Zug nach Luleå. Der nette Mann neben mir will Smalltalk halten, doch ich stelle mich nach ein paar Minuten schlafend. Ich bin gerade nicht in Stimmung zu reden und mache mir sowieso Gedanken wie es weitergeht. In der Zukunft, aber auch und vor allem in den nächsten paar Stunden, denn: Ich hatte nur bis Luleå gebucht und wollte von dort nach Rovaniemi trampen. Schlappe 252km. Was genau hatte ich mir dabei schon wieder gedacht?! In Luleå dann auch tatsächlich von einer Fernstraße keine Spur, lediglich ein großer Haufen Flüchtlinge, der sich mit mir zum Busbahnhof schiebt. Sie sehen müde aus und kaufen sich im Buskiosk Chipstüten und Schokolade zum Mittagessen, wohl aus Angst sich zu weit von der Gruppe zu entfernen. Ich kaufe mir ein Ticket nach Haparanda/Tornio, der Grenzstation zu Finnland und warte draußen auf meinen Bus. Als er schließlich vor das Gebäude rollt, wird er von hastenden Menschen überrannt. Koffer werden in den Laderaum geworfen, Familien halten sich bei der Hand und diskutieren mit dem Busfahrer, der bald niemanden mehr hineinlassen will. Der Bus ist voll, in einer Stunde erst kommt der nächste. Einige Flüchtlinge blockieren die Tür, wollen nicht zurückbleiben während der Rest der Familie schon im Inneren wartet. Schließlich wird verhandelt, Tickets werden getauscht, die Familien bleiben zusammen. Ich stehe draußen mit meinem Osprey und zahlreichen Flüchtlingen und fühle mich plötzlich ziemlich alleine. Nach 24h Reise bin ich so erschöpft, dass mir peinlicherweise die Tränen kommen. Um mich herum das Chaos und flüchtende Menschen. An einem Sonntag in einem provinziellen Loch in Schweden mit der plötzlich aufkommenden Frage, ob wir heute überhaupt noch irgendwo ankommen würden. Ich drücke die Nase in mein Outdoor-Kochbuch und versuche den verräterischen Schleier vor meinen Augen wieder wegzublinzeln. Soweit kommt es noch, dass ich hier neben wahrhaft tragischen Schicksalen aufgrund meiner anstrengenden Heimreise die Fassung verliere.
Kanutour Schweden: Der Weg ist das Ziel
Eine halbe Stunde später rollt ein gelber Ersatzbus ein und wir schieben uns ins warme Innere, die Flüchtlinge und ich. Ich nicke ein und werfe im Halbschlaf immer wieder fragende Blicke durch die Fensterscheibe. „No Haparanda“, teilt mir der nette Mensch neben mir lächelnd mit und ich schlafe weiter. Am späten Nachmittag erreichen wir endlich die Grenzstation und ich stelle mich mit meinem roten Rucksack hoffnungsfroh an die Straße, den Daumen raus, das Lächeln wieder auf dem Gesicht. Doch niemand hält an und ich eiere mich Sack und Pack durch den Regen zurück zur Grenzstation. Zwei Iraker kommen mir entgegen und fragen mich nach dem besten Weg nach Tornio. Ich zucke die Schultern und weiß ja nicht einmal selbst, wo ich gerade bin. Wir haben kein Smartphone, keine Karte und keine Idee. Ich frage sie, was sie dort wollen und sie sagen: Leben. Wovon und worin wissen sie nicht. Müde lächeln sie mich an und ich ziehe innerlich meinen Hut vor soviel Tapferkeit. Am Abend erwische ich endlich einen Bus nach Kemi und Rovaniemi. Mir ist finanziell inzwischen alles egal und ich will nur noch heim. Um 23:00 drehe ich nach 33,5 h Heimreise den Haustürschlüssel zu meinem kleinen Studentenzimmer klickend im Schloss. Was für eine Scheiße, was für ein Glück.
Schade, dass die Geschichte schon zu ende ist. Gerade über den letzten Teil der Reise, den Du alleine gemacht hast, musste ich schon beim erstem mal lesen sehr viel nachdenken. Als ich durch die Ukraine getrampt bin, habe ich ähnliches erlebt. Das kürzeste was ich dazu sagen kann ist, dass es großartige und sehr unheimliche beeindruckende Momente gibt auf einer solchen Reise. Ich kann es zwar erzählen, aber nicht aufschreiben. Nicht mal beim erzählen bin ich mir sicher, ob mein Zuhörer das gleiche empfindet wie ich. Deshalb finde ich es so schön wie Du schreibst. Du kanst das Gefühl und die Gedanken transportieren 🙂
LG aus Bln
Mirko