Vier Wochen nach unserem Wettertief am Polarkreis muss auch der Winter langsam weichen. Vappu, das finnische Frühlings- und Studentenfest gibt alles, um die bösen Geister zu vertreiben und sich zum Tag der Arbeit mal ordentlich die Mütze volllaufen zu lassen. Mit Sima und Vappuheila im Rausch der Sonne!
In Finnland gab es zwei Feiertage im Jahr, an denen der Finne aufgrund übermäßigen Alkoholonsums gerne die Contenance verlor: Vappu (1. Mai) und Juhannus (Mittsommer). Vappu wurde in Finnland als Tag der Arbeiter und der Studierenden gefeiert und verabschiedete gleichzeitig den langen nordischen Winter. Wie auch beim Walpurgisfest in Deutschland vertrieben große Maifeuer die dunklen Dämonen und läuteten bei Speis und Trank und vor allem Trank die warme, helle Jahreshälfte ein. Da war es relativ egal, ob man sich dabei noch mit Winterjacke und Mütze schneewärts Richtung Sammelplatz bewegen musste. Zum Vappu wurde als Einstieg gerne Sima konsumiert, eine Art Met aus Wasser, Zucker, Hefe, Zitronen und Rosinen, die dem Ganzen eine etwas süßlich-herbe Note gaben. Sima gab es seit dem 18. Jahrhundert und galt damals als Getränk der wohlhabenderen Bevölkerung. Je nach Gärung enthielt das Getränk zwischen 0,5 und 0,8 Vol.-% und konnte daher auch von Kindern genossen werden. Dazu aß man Munkkia (Krapfen) oder Tippaleipä, ein Fettgebäck, das optisch an braun gebackenes Spaghetti-Eis erinnerte. Doch das alles war ja lächerlich niedrigprozentig und deshalb folgte dem Sima auch bald das Saufgelage.
War Vappu ursprünglich, wie auch in Deutschland ein Fest für die arbeitende Bevölkerung, so entwickelte sich das finnische Vappu aus schwedischem Einfluss heraus zunehmend zu einem studentischen Gelage, sodass heute vom höchsten Feiertag der Studenten gesprochen wurde. Hier in Rovaniemi wurden die Feierlichkeiten sogar auf eine gesamte Woche ausgeweitet und mit verschiedenen größeren und kleineren Aktionen, wie Konzerten und Theaterstücken ausstaffiert. Absoluter nationaler Ausnahmezustand, der auch den sonst verbotenen Alkoholkonsum im öffentlichen Raum erlaubte. Spätestens am Vappuaatto, dem Walpurgisabend am 30. April, bevölkerten die in ihre bunten Studentenoveralls (Haalarit) mit weißer Studentenmütze gekleideten Hochschüler die Straßen der Städte, trugen Luftballons und schräge Kostüme zur Schau und marschierten in Richtung einer passenden wehrlosen Statue. Eigentlich besaß ja praktischerweise fast jede Stadt irgendein figürliches Denkmal, dem man eine Kopfbedeckung auf das metallene Oberhaupt setzen konnte. Die weiße Studentenmütze erhielt jeder Absolvent meist bereits zum Abitur und durfte sich dann am Vappuaatto damit kleiden. Der Studentenoverall sah dem Blaumann nicht unähnlich und schmückte sich nach Fakultätszugehörigkeit und Universität in einer anderen Farbe. In Rovaniemi wurden an diesem Tag folgende Farben von ihren eiernden Trägern ausgeführt:
- Erziehungswissenschaften je nach Institut: orange oder blau
- Rechtswissenschaften: weinrot
- Kunstwissenschaften: pink
- Gesellschaftswissenschaften:
- Tourismus: dunkelblau
- Politik: dunkelgrün
- Soziologie: rot
- Verwaltungslehre: schwarz
Rovaniemi, die Stadt der Künste, erinnerte mich mit ihren pinken Latzhosen und Luftballons an die Werbekampagne einer amerikanischen Beautyfarm und trotzdem hätte ich wahnsinnig gern auch einen gehabt. Die Haalarit waren mit bunten Aufnähern übersät, die man bei diversen Feierlichkeiten, Sehenswürdigkeiten oder besonderen Anlässen erwerben konnte. Die Haalarit unterschieden damit auch noch einmal die Abiturienten, die zwar eine Studentenmützen tragen durften, aber noch nicht zum Studium zugelassen wurden, von den glücklichen visuell entgleisten Hochschülern. In Finnland war die Hochschulzulassung wesentlich strenger geregelt als in Deutschland und weniger von der Abiturnote abhängig. Vielmehr mussten sich die Bewerber auf große fachspezifische Zulassungsprüfungen vorbereiten und damit bereits vor Beginn des eigentlichen Studiums einiges an Vorkenntnissen mitbringen. Nach dem Abitur begann daher für viele finnische Staatsbürger erst einmal die Suche nach entsprechenden Praktika, Sommerschulen, Berufsschulen und Leihbibliotheken, in denen man nach dem erpaukten Schulabschluss wieder zum blassen Lerngespenst mutieren konnte. Eigentlich gar nicht so schlecht diese Vorgehensweise, trennte sie doch den emsigen, aber uninteressierten Streber vom motivierten, aber etwas unorganisierten Fachmann. Und verständlich, dass jeder Mützenträger ziemlich stolz aus den Löchern blickte.
Aber zurück zur armen Statue, die nun unter dem Gejohle des beschwipsten Pöbels von aufgeheizten Studentinnen mit Bürsten und Wasser eingeseift und schließlich mit der weißen Studentenmütze bekrönt wurde. Dazu ergingen sich wichtige Mitglieder der Universität in kleinen Festreden bis das obligatorische Selfie der „Waschfrauen“ mit der Statue das Spektakel schloss. Am Abend hatte man dann die Möglichkeit seinen Pegel noch einmal drastisch zu erhöhen oder zumindest das Niveau zu halten und traf sich drinnen oder draußen zum feucht-fröhlichen Beisammensein. Eigentlich hätte ich mir gerne ein Walpurgisfeuer angeschaut und dazu meine 1,5 Liter Sima geschlürft, konnte mich aber nur meinen wenigen verbliebenen Freunden anschließen, die es alle in den Studentenclub Tivoli trieb. Eigentlich war das Tivoli bereits längst bankrott gegangen, doch war der Doris-Nightclub zu klein für die berauschten Massen. Der Stadt Rovaniemi glückte damit unter dem Motto „Doris goes Tivoli“ ein wahrer Geniestreich des problemorientierten Lösungsansatzes. Mir waren die zwei Cider, die ich mir als Wegzehrung mitgenommen hatte, definitiv zu wenig für die schlechte übergewichtige Kinderband, die da auf der Bühne rumhopste und ich versuchte es mit noch mehr Cider und Bier bis die Musik schließlich erträglich wurde. Lieber wäre ich eigentlich auch ins Waldemari gegangen, einem gediegenen Tanzlokal am Kemijoki, in dem an diesem Abend zwei schmissige Bands mit den Namen Jaakko Laitinen & Vääräraha (Jaakko Laitinen und Falschgeld) und Reindeer Kalashnikov lappländischen Balkanrock zum Besten gaben. Aber alleine ging man da eben leider auch nicht hin. Und alleine gingen die meisten auch nicht nach Hause. Das Vappuheila, die „Walpurgisflamme“, im Arm, ließ man das schöne Fest doch gerne bierselig gemeinsam ausklingen.
Am Maifeiertag, dem Tag danach, war es in Finnland üblich sich schon ab 10Uhr morgens zu einem öffentlich organisierten Picknick im Stadtpark zu treffen und sich von Blasmusik, Studentenchören und Theater berieseln zu lassen. Das ging vor allem dann gut, wenn man sich doch nochmal zum Sekt und Sima breitschlagen ließ. In Rovaniemi war mir allerdings nicht so danach. Und in Rovaniemi war es auch totenstill. Der Maifeiertag begrüßte mich eher grau und unfreundlich unter der warmen Bettdecke und ich fand, dass wir es auch dabei belassen konnten. Sima, mein Vappuheila! Wir kriegen den Tag schon rum!
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