Athen? War nicht Istanbul das Ziel der Reise? So manch einer mag sich nun fragen, wie ich denn plötzlich in der griechischen Hauptstadt landen konnte. Und das war so:
Während der zwei Tage Pause in Sofia beschloss ich mit den beiden britischen Mädels die Köpfe zusammen zu stecken und einen Plan B auszuarbeiten, der uns auf dem schnellsten Weg nach Griechenland führen sollte. Dieser Plan beinhaltete die Überquerung des Gebirges südlich von Sofia und damit so einiges an Höhenmetern. So landeten wir schon am ersten Tag in einem Skiort auf 1.300 m, wo wir zum ersten Mal seit Wochen die Fleecejacken aus unseren Taschen kramten. Die Route führte uns durch enge Schluchten und in kurvigen Straßen immer weiter bergauf bis nach Velingrad, der Spa-Hauptstadt des Balkans. Trotz hoher Temperaturen genossen wir den 16 km langen Pass mit Serpentinen bis Jundola, da nur wenig Verkehr herrschte. Belohnt wurden wir mit einem grandiosen Ausblick über die umliegenden Berge und mit einem Abschnitt von 40 km, der größtenteils ganz von allein bergab in die Tiefe führte. Nach vier Tagen kamen wir an der lang ersehnten griechischen Grenze an. Bulgarien hatte uns mit der schönen Landschaft im Gebirge einen versöhnlichen Abschied beschehrt, wenn auch die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen in keinem Vergleich zu Serbien stand. Besonders anstrengend waren nach wie vor die wilden Hunde, die uns beinahe täglich verfolgten und immer wieder für Aufregung sorgten.
Radreise Osteuropa: Was mache ich nur?
Kurz hinter der griechischen Grenze schlugen wir unser letztes gemeinsames Nachtlager in der Wildnis auf, da sich hier unsere Wege hier trennen würden. Ich fuhr weiter Richtung Istanbul und die Mädels nach Süden Richtung Athen. Alleine setzte ich meine Reise fort, geplagt von Magenproblemen bei Temperaturen um die 40 Grad. Mit dem Meer als Ziel vor Augen kämpfte ich mich über einen weiteren Pass und konnte vom höchsten Punkt die Hafenstadt Kavala erblicken. Völlig erschöpft erreichte ich einen Zeltplatz direkt am Meer und legte mich erstmal in den Schatten. Erst nach ein paar Stunden brachte ich die Energie auf, die 100 m ans Meer zu gehen und darin zu baden. Es waren keine 500 km mehr bis Istanbul und ich hatte auf einmal die größten Zweifel. Würde ich mich dort nach all den Vorkommnissen in den letzten Wochen wohl fühlen? Konnte ich mich dort erholen? Ich sollte auf mein Bauchgefühl hören, was mit Magenproblemen gar nicht so einfach war. Letztendlich entschied ich mich dazu, nach Athen statt nach Istanbul zu fahren. Diese Entscheidung fiel mir keineswegs leicht, war Istanbul und der Besuch meiner Freundin für mehr als fünf Wochen mein Ziel gewesen. Etwas enttäuscht, aber doch mit dem Gefühl, eine richtige Entscheidung getroffen zu haben, fuhr ich an der Küste entlang Richtung Thessaloniki. Obwohl ich zwei Tage lang kaum etwas gegessen hatte, fuhr ich 180 km und holte die beiden Schwestern Charlie und Louise wieder ein, um mit ihnen zusammen die Reise bis Athen fortzusetzen.
Radreise Osteuropa: Auf griechischem Boden
Bei nunmehr täglich über 40 Grad hatten wir immer wieder Probleme, einen ruhigen Weg abseits der Autobahnen zu finden. Zwei Mal landeten wir ohne Vorwarnung trotzdem darauf und mussten auf dem Seitenstreifen zurückschieben. Abseits der touristischen Orte an der Küste zeigte Griechenland im Landesinneren sein wahres Gesicht: abgebrannte Weizenfelder, halbfertige Bauruinen und verlassene Dörfer. Jeden Tag überquerten wir Gebirgszüge und kamen dabei ordentlich ins Schwitzen. (Eines morgens um halb 10 meinte Louise, dass es so angenehm kühl sei und das Radeln leicht fiele. Ein Blick auf das Thermometer verriet, dass es 33 Grad hatte.) Mit guter Musik oder spannenden Podcasts machte das aber richtig Spaß und jedem Anstieg folgte bekanntlich eine erfrischende Abfahrt. Die Griechen waren unglaublich nett und hilfsbereit. Ein Autofahrer schenkte uns eine Packung Pistazien, in der Bäckerei bekamen wir Brot und ein Mann am Strassenrand gab uns Trauben aus seinem Garten. Mehrmals schon wurde ich auf eine Limo eingeladen. In der letzten Nacht 50 km vor den Toren Athens kamen wir bei Ilias und Sofia unter, einem älteren Ehepaar, die uns auf der Suche nach einem Schlafplatz in ihren Garten eingeladen hatten. Nach einem griechischen Kaffee sollten wir Sofia bei der Gartenarbeit helfen, Bohnen pflücken, gießen und die Hennen in den Stall treiben. Dafür wurden wir mit dem frisch geerneteten Gemüse bekocht und durften letztendlich die Nacht im Gästezimmer schlafen. Solche wundervollen Begegnungen machten die Reise erst zu einem unvergesslichen Erlebnis. Am nächsten Tag fuhren wir stilvoll auf einer vierspurigen Autobahn ohne Seitenstreifen in die griechische Hauptstadt. Auf dieses Abenteuer hätte ich gerne verzichtet, aber es gab keinen anderen Weg. Beim Anblick der Akropolis aus der Ferne realisierte ich zum ersten Mal, dass ich es bis nach Athen geschafft hatte und mit einem breiten Grinsen im Gesicht genoss ich die letzten Kilometer bis unterhalb der Akropolis. Nach 3415 km in 46 Tagen hatte ich mein neues Ziel erreicht. Da ich die letzten 1130 km von Sofia in 14 Tagen ohne Pause geradelt war, sehnte sich mein Körper nach ein paar Tagen Pause.
Radreise Osteuropa: Die bisherige Reise in Zahlen
- Erlangen – Athen in 46 Tagen
- 38 Tage auf dem Rad
- 3415 km
- Durchschnittliche km pro Tag (inklusive Pausetage): 74 km
- Durchschnittliche km pro Tag (nur die Tage auf dem Rad): 90 km
- 22 Nächte im Zelt
- 7 Länder (Deutschland, Österreich, Slowakei, Ungarn, Serbien, Bulgarien, Griechenland)
Und nun? Ist die Reise schon vorbei? Im Leben nicht! Ich will am Montag auf meinem Fahrrad den Rückweg nach Erlangen antreten. Eine genaue Planung der Route gibt es nicht. Die letzten Wochen zeigten nur zu gut, dass Pläne dazu da sind, über den Haufen geworfen zu werden. Doch der Anfang steht: Es soll erst einmal entlang der griechischen Westküste nach Norden gehen. Noch immer bin ich motiviert und freue mich auf viele weitere Erlebnisse in den nächsten Wochen.
Die Autorin: Ich bin Nina, 26 Jahre alt, gerade mit dem Geographiestudium fertig geworden und auf der Suche nach Freiheit und Abenteuer. Das bedeutet für mich draußen in der Natur zu sein, keine Vorgaben einhalten zu müssen und jeden Tag aufs Neue etwas zu erleben.
Weiter so! Gute Fahrt!
Hi Nina! I’ve just read all your posts, it’s great! Such an adventure! Some things I recognise from cycling in Portugal just now, like people waving or cheering along the road, or the difficulty of cycling in the heat and starting very early in the morning to do as much as you can before it’s way to warm. Will you post some stories on your way back home as well? Good luck and have fun! I hope you keep meeting lots of nice people who invite you for the evening or night and that all the wild dogs will keep off. Happy cycling!! Marloes