(Anmerkung: Man drehe “Hard Sun” von Eddie Vedder auf und lese unseren Reisebericht Alaska)
Endlose Wälder, reißende Flüsse voll schimmernder Rotlachse und Bären beim Streifzug durch flammende Tundra-Landschaften – Alaska! Diese Ausgeburt menschlicher Freiheitsbekundungen und Abenteuerfantasien sollte nun also tatsächlich mein nächstes Reiseziel werden und einen lang gehegten Traum wahr werden lassen. Ich hatte einen Platz für die große Exkursion Alaska bekommen! Als Geographiestudentin privilegiert für außergewöhnliche Studienaufenthalte im Ausland war das der krönende Abschluss eines glücklichen Studentenlebens und gab mir endlich Gelegenheit mehr über das boreale Waldland zu erfahren, das doch häufig im exotischen Rummel der regenbewaldeten Südhalbkugel zu kurz gekommen war. Nach endlosen Wochen der Vorbereitung und Equipment-Aufstockung saß ich nun also im Flieger nach Anchorage und bahnte mir meinen Weg über Island und Grönland ins Land der Aussteiger. Grönland. Weiß und zerklüftet lag es unter mir, ein erstartes Stück Land im schwarzen Ozean. Fasziniert beobachtete ich das Pack- und Treibeis im Nordatlantik und die riesenhafte farblose Wüste der größten Insel der Erde. Fröstelnd enterten meine Arme die Ärmel der Fleecejacke und ein Gedanke mein schläfriges Hirn. Geil! Eine Welt voller Abenteuer wartete da unten. Nach zwölf Stunden setzte die Maschine zur Landung an, durchbrach die Wolkendecke und was ich kaum zu hoffen gewagt hatte, erstreckte sich nun endlos unter mir. Tatsächlich war bereits das Umland von Anchorage durchzogen von einem Netz gigantischer Flussläufe, die im diffusen Sonnenlicht glitzerten und das dunkle Grün des Nadelwaldes zerschnitten. Anchorage selbst war dann so ernüchternd amerikanisch mit seinen gelben Schulbussen, Fastfood-Ketten und Einfamilienhaussiedlungen, dass die Begeisterung zunächst einmal abflaute. Dass trotzdem etwas anders war als im Rest des gelobten Landes bemerkte der geneigte Beobachter anhand der Größe der Autos und mit Blick in den Himmel. Wasserflugzeuge und gigantische Geländewagen dominierten hier in Alaska den Individualverkehr und gaben brummend einen Vorgeschmack auf die unbezwingbare Wildnis vor den Toren der Stadt, die wir immer noch nicht so richtig ernst nehmen konnten.
Alaska: Zu den Waffen, es geht ins Feld
Dass wir uns jedoch nun nicht mehr im zersiedelten Europa befanden, dämmerte uns spätestens nach dem verschlafenen Zwiegespräch mit der Müslischüssel als unsere Dozenten ein Pfefferspray im handlichen WD40-Format aus der Tasche zogen. Das Bärenspray! Von nun an unser verlässlicher Begleiter beim täglichen Spatengang und nächtlichen Zwiegespräch. Die ampelroten Flaschen wurden unter uns verteilt und sollten von nun an immer in Griffweite einer ungemütlichen Bekanntschaft mit langen Zähnen vorbeugen. Das Bärenspray wanderte an unsere Gürtel und ein mulmiges Gefühl in unseren Bauch. So ausstaffiert zogen wir dann endlich los mit unseren geländegängigen Kleinbussen in die Chugach-Mountains und starteten die Exkursion Alaska mit einem Tagesmarsch durch glazial geprägte Trogtäler an Schneeziegen vorbei zum Raven-Glacier. Er sollte einer von vielen werden und sich einreihen in die Kette ewigen Eises, das zerklüftet und farbenfroh majestätisch vor uns lag und uns ganz still werden ließ im Angesicht der Erdgeschichte: Columbia-Glacier, Root-Glacier, Kennicott-Glacier, Gulkana Glacier, Valdez Glacier. Ganz Alaska hielt Zeugen der ursprünglichen Vergletscherung bereit und so passierten wir auf unserem Weg durch das fruchtbare Matanuska-Tal einige Braided River-Systeme, deren Flussarme sich auf den Schotterfluren über die Ebene verzweigt und zu einem glitzernden Netz kalter Wasserläufe verflochten hatten. Dazwischen: Gewaltige Schotterbänke mit Birken, Weißfichten und Lärchen, kahl und braun im fahlen Sonnenlicht. Wunderschön und unbezahlbar. Still schauten wir aus den fenstern und ließen das Erbe der Natur passieren.
Alaska: Ein Bär muss tun…
Nach unserer ersten Nacht im Freien zeigte sich bereits am Morgen, wer den vernünftigen Schlafsack zu Hause gelassen hatte. Ein wenig steif und mit klammer Kleidung saßen wir zerknautscht vor unseren fauchenden Kochgerät und versuchten uns anzufreunden mit zwei Wochen Erlebnis-Camping unter Alaskas Regendach. Ich liebte Camping, doch man musste immer erst ein wenig warm werden mit der Buschfrisur. Es knackte einmal, zweimal und ein großer schwarzer Hund trabte zehn Meter entfernt an uns vorbei durch das Unterholz. Verschlafen schob ich den Löffel Müsli in meinen Mund und erstarrte. Wir blickten uns an. Ein wenig groß für einen Hund? Adrenalin schoss durch meinen Körper und ein Gefühl aus Panik und Begeisterung in mein Gesicht. Wo war das Bärenspray? Weg natürlich und ganz gewiss nicht in Reichweite. Langsam standen wir auf, ein jeder seinen Teller in der Hand und sahen uns ratlos an, nur um uns im nächsten Moment fluchtartig ins Innere unseres Geländewagens zu verziehen. Tür zu, Augen zu, durchatmen. Ich fing leicht hysterisch an zu lachen und genoss das Abenteuer, das meine Beine noch ein wenig zittern ließ. Unser schwarzer Freund sollte uns noch öfter beehren auf unserem Camping-Platz, kopfüber hängend in der Abfalltonne und mit einem Windelarsch, der den heimischen Alaskanern bestimmt nur ein müdes Lächeln abgerungen hätte. Es war ein kleiner Bär und trotzdem hatten wir Respekt bekommen vor dem, was in Alaska auf uns wartete.
Alaska: Die Erde voll Gold & das Herz ganz warm
Die nächste Station führte uns über das Flusssystem des Copper Rivers in die Vergangenheit der Schatzjäger und Goldsucher von Alaska. Kennicott als längst verfallener Stützpunkt mehrerer Kupferminen im heutigen Wrangell-St.-Elias-Nationalpark, die aus dem Fund 70%igen Kupfers um 1900 resultierten. Beherbergte der Ort in Blütezeiten noch an die 600 Minenarbeiter, verwandelte sich Kennicott nach dem Zusammenbruch der Kennicott Copper Corporation 1938 in eine Geisterstadt, die nach langen Jahren des Verfalls heute zum Nationaldenkmal erklärt und nun langsam wieder aufgebaut wurde. Die mehrstündige Wanderung zur Bonanza Mine in den Bergen war in mehrerlei Hinsicht atemberaubend. Zwang der steile Aufstieg die ersten untrainierten Studenten in die Knie, so ermöglichte sie den Zähen unter uns einen großartigen Blick auf die mit Schutt bedeckte Gletscherzunge des Root Glaciers und führte uns gleichzeitig die Gnadenlosigkeit der Minenarbeit in dieser kalten Felswüste vor Augen. Die Bonanza Mine thronte als düstere Ruine Unheil bringend vor uns im Nebel und starrte uns mit schwarzen Fensterhöhlen drohend an. Diejenigen von uns, die es noch bis zur Mine schafften und nicht vorher aufgrund unzureichenden Wasservorrats dehydriert den Rückzug angetreten hatten, fanden löchriges Schuhwerk und rostiges Werkzeug als geisterhafte Zeugen einer längst vergangenen Zeit. Den Schweiß der Wanderung ertränkten zwei weitere Verrückte und ich zunächst mit einem Bier im Saloon McCarthys und einem anschließenden Bad im 2°C-kalten Copper River. Wer dies für ausgesprochen bescheuert hält, ist offenbar noch nicht in den Genuss der angenehmen Erfrierungswärme gekommen, die einem solchen Bade innewohnt. Nach einem schmerzhaften Aufjaulen sämtlicher Körperteile konnte man sich auf die bald einsetzende gefühllose Taubheit stets verlassen, die dann die Wärme des nahenden Erfrierungstodes einleitete. Es war unfassbar gut und ich schlief sehr tief in dieser Nacht.
Alaska: Wenn Wölfe heulen und der Winter naht
Richtung Norden wurde die Landschaft offener und durchbrach die sumpfige Weite dunkler Schwarzfichtenwälder zunehmend mit weiten Tundra-Landschaften, die sich im goldenen Licht der Herbstsonne bereits rötlich verfärbten und uns allerhand Grund zum Naschen gaben. Heidelbeeren, Moltebeeren, Labradortee. Die Luft war klar, der Himmel blau und im Summit Lake spiegelte sich glasklar das Panorama der schneebedeckten Alaska Range. Zwei Elchkühe standen in einiger Entfernung im Wasser und glotzten uns an. Vor dieser Kulisse war es schwer sich nicht frei zu fühlen und die angeblichen Vorzüge der modernen Konsum- und Leistungsgesellschaft zu verstehen. Neben uns schlängelte sich die Alaska Pipeline als gigantischer Lindwurm durch das Land, tauchte mal unter, nur um einige Kilometer später das Erdreich wieder zu verlassen. Die Pipeline wurde im Zick-Zack-Muster auf große bewegliche Schlitten konstruiert, um eventuelle tektonische Bewegungen ausgleichen zu können. Wärmetauscher und ein oberirdischer Verlauf der Pipeline ermöglichen den Transport des Erdöls durch von Permafrost beeinflusstes Gebiet. Der Untergrund von Alaska war weiträumig gefroren und häufig nur durch ein periodisches Auftauen der oberen Bodenschicht, dem Active Layer, gekennzeichnet. Hier verrieten Moore und der Drunken Forest, was sich jährlich im Untergrund abspielte. Die Nächte im Zelt am Paxson Lake wurden nun eisiger und am Morgen weckte uns das Knistern des Eises, dass sich dünn an unsere Zeltwand schmiegte. Längst hatte die Kamera ihren Weg in meinen Schlafsack gefunden und mit ihr der Winter in mein Daunenkleid. Zitternd und mit den Zähnen klappernd schob ich sie stets zu meinen Zehen und rollte mich darüber zu einem lauwarmen Ball zusammen. Die Bierzeche vom Vorabend machte sich nun stets strafbar und so hüpfte man des nachts nur äußerst unwillig mit drückender Blase und in Thermounterwäsche hinter den Busch, um sein Geschäft zu verrichten. Ängstlich pieselte ich in Höchstgeschwindigkeit und leuchtete wie ein stetig rotierender Scheinwerfer paranoid mit der Stirnlampe hinter jeden dusteren Busch. Und dann heulten sie eines nachts tatsächlich, die Wölfe und fasziniert lauschte ich Ihnen während der Mond hell über dem silbernen Paxson stand.
Alaska: Du Tier!
Nach einem Zwischenstopp in der Zivilisation Fairbanks‘, mit dem ein Besuch der Universität, des Volcano Observatory Centers und des fürchterlich kitschigen Örtchens North Pole einherging, waren die Vorräte aufgestockt und die Reise konnte weitergehen. Ich war froh dem missmutigen Getümmel der Stadt zu entkommen, in der der einzige Hingucker die Kraniche und Kanadagänse auf ihrem Zug in den Süden waren. Santas kitschig blinkende Glitzerwelt hatte es mir defintiv nicht angetan. Nächster Stopp: Denali-Nationalpark. Wenn es nun etwas gab, das ich auf dieser Reise bereute, dann war es die Gruppendynamik. Beim Anblick des Indian Summers, der Elche, die unseren Weg kreuzten und der Arktischen Präriehörnchen, die flink zwischen den schroffen Felsen umher flitzten, packte mich der schmerzliche Wunsch, meinen Rucksack zu schultern und mit Zelt und Kochtopf allein in die wilde Weite Alaskas zu ziehen, dem Denali entgegen und daran vorbei. Eins zu sein mit sich und der Natur, immer auf der Hut mit wachen Sinnen, schmerzenden und doch angenehm strapazierten Gliedern. Und vielleicht mit einem kurzen Blick in den alten blauen Bus, in dem Christopher McCandless als Supertramp sein tragisch-abenteuerliches Leben aushauchte. Dies war der Nachteil einer Exkursion, während der kein Raum war für individuelle Alleingänge und Sehnsuchtstouren. Und so nutzte ich das Ende unserer Reise nach Verlassen des Nationalparks noch für erste Anglerübungen, die mich in die Kunst des Ausnehmens und Filetierens einwiesen und uns im Rahmen der Angellizenz einiges an rosafarbenem Lachs auf unsere Teller brachten. Zugegeben: Die Lachse befanden sich am Ende ihres Laichstadiums und waren schon fast tot, als wir sie mit blosen Händen aus dem Wasser zogen. Entsprechend säuerlich war der Geschmack, was jedoch in keinster Weise meine Freude am selbsterlegten Gute trübte. Ich hatte es nicht gern getan und war doch stolz, dass ich es konnte mit dem großen finnischen Marttinimesser während der Rest der Gruppe gaffend auf meine blutigen Hände glotzte. Hinfort war er, der letzte Schein der Damenhaftigkeit und bis heute blitzt es ein wenig befremdlich im einen oder anderen männlichen Augenpaar. Ich Tier!
Alaska: Fernsichtig
Zurück in Anchorage standen wir am Flughafenschalter mit Rucksack, Zelt und Erinnerungen im Gepäck, mit der Hoffnung das Gefühl der Erhabenheit über den Dingen wenigstens eine Zeit lang länger mit durch den Alltag tragen zu können und nicht wie sonst bereits nach einer Woche wieder im Schlund der Termine und Verpflichtungen verschwinden zu müssen. Doch genauso kam es. Wie nach jeder Reise. Und so leckte langsam wieder die Zunge der Sehnsucht an meinen Gedanken, ließ mich träumen von Patagonien und Indien, von Chinas Hinterland und Island-Pfernden und der baldigen Flucht zurück ins Zelt, wo die Zehen gefrieren und das Herz ganz weit wird in der Welt. Mein Messer roch nach Lachs und Rauch und Birkenrinde und ich steckte es zurück in seine Schachtel. Bis zum nächsten Mal.
Fernweh und mal Bock einen Blick ins weite Land zu werfen? Dann geht’s hier zu unserer Packliste. Materielle Ideen für diese Reise gibt’s natürlich auch wie immer in unseren Produktempfehlungen für Kleidung und Equipment.
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